Wo das Glück beginnt
von Dr. Stefan Soltek

Auszug aus einem Katalogvorwort, 2011

Die Bücher, die sie fertigt, füllt Petra Ober mit Farbe an. Sie lässt die Seiten, aus Büttenpapier, vollaufen. Nur eine Farbe zu verwenden, kommt seltener vor, meist sind es zwei, kaum mehr als drei Farben, die sie sich verbinden lässt. Die Büttenseite wird gleichsam zum Stoff der Farben, die sie aufnimmt und ausstrahlt. So eminent Farbe einwirkt, so deutlich bleiben die Seiten als Seiten erkennbar, liegen plan, nichts hindert ihre Blätterbarkeit. Ein Aufblättern von Farbe gestaltet Petra Ober in ihren Büchern zum Raumereignis. Von links nach rechts, von vorne nach hinten, und wieder in die Quere nimmt die Bewegung durch den Codex den Blick des ihn Handhabenden mit. Sein Tasten wird ihm augenscheinlich, sein Sehen greift den Rhythmus des Eintauchens, Auftauchens, Wendens und wieder Eintauchens auf, steuert ihn genauso wie es gesteuert wird.

Ist also das Buch als Codex intakt, führt es incidenter auch die Erwartung an die Funktion desselben mit sich: Information zu tragen, ureigentlich eine solche in der Art eines Textes. Petra Ober gibt tatsächlich in der Regel Texte in ihre Bücher ein. Doch haben sie eine auf das Ganze der Seite, auf das Ganze des Buches hin gesehen, zugeordnete, sicher nicht dominierende Erscheinung. Obschon mitunter so gar in Gold, elementar als Groteske ausgeführt, sind die eingestempelten Worte in nur einer Zeile, aus deren strenger Linienführung gelöst, über je nur einen kleinen Anteil der Seite hin gestreckt.

Es ist die Wirkung der Farbanberaumung an sich, die sich mitteilt, und nur insofern eine ungefähre LesArt in sich birgt, als sie im Rahmen der Buchseiten stattfindet. Ansonsten ist der Gegensatz zum Wortsprachlichen evident, ist die Fühlbarkeit für das sehende und nachempfindende Auge angesprochen. Ein Grundton entsteht, in den das Wort des literarischen Autors einschwingt, eine Wellenlänge sucht mit dem Strom der Farbverläufe. Lineare Sinngebung unterliegt dem Überschwang der Farbtiefen und der Sinnlichkeit, die sie anschwellen lässt.

Eine weit darüber hinaus bemerkenswerte Konnotation von Farbe für das Sagbare und alles, was sinnlich-assoziativ über den technischen Zeichensatz von Buchstaben hinaus geht.

Die Autorin, die Fertigerin, Färberin, Führerin in und durch ihr Buch in einem ist, fühlt sich ihm einverleibt. Selbsterfahrung, die sie natürlich betreibt, vertraut sie ihren Büchern an. Sie sind das ihr geeignete Aggregat, Annäherung an das eigne organische Wesen.

Davon gibt beispielhaft jenes mehrteilige Werk Ausdruck, das sie im Jahr 2000 in Auseinandersetzung mit Carl Blechens Bild der Badenden Frauen im Park von Terni (vergleichbar der Ikonographie Diana im Bade) im Frankfurter Städel geschaffen hat. In mehreren Facetten nutzt sie den Buchraum zur Annäherung an das Bild, aber auch auf dem Weg der Selbst-Fotografie zur vorsichtigen Auslotung ihrer Wesenhaftigkeit im Bild des eigenen Körpers (Katalog 9. Triennale für Form und Inhalte, Frankfurt, Offenbach, New York 2000, S.244f).