Stehen, gehen, tanzen, singen
von Nina Mößle

Aus der Eröffnungsrede anlässlich der Ausstellung „Die Bilder der Buchkünstler VII – Petra Ober“ in den Räumen der SOH Offenbach. Eine Ausstellungsreihe des Klingspor Museums, Offenbach, November 2017 – September 2018.

Stehen, Gehen, Tanzen, Singen lesen wir auf einem Linolschnitt von Petra Ober, der gewissermaßen die Quadratur ihres künstlerischen Themenkreises umschreibt. Bewegung, Rhythmus und Klang prägen das Werk der Künstlerin, das von Malerei und Zeichnung über Papierobjekte und Installation bis hin zum Unikatbuch reicht. Petra Ober arbeitet nicht gegenständlich, möchte nicht abbilden. Vielmehr verstehen sich ihre Werke als Resonanzräume, die auf das Körperempfinden als elementaren Zugang und Umgang mit der Welt und ihren Erscheinungen zielen. Über die bloße Anschauung hinaus regen sie zum sinnlichen Erfahren und Reflektieren an.

Die taktilen Unikat-Bücher offenbaren Petra Obers Vorliebe für Lyrik, für jene Textform also, die der Musik formal am nächsten steht. Stammt doch das Wort selbst von der Lyra, dem antiken Saiteninstrument, ab. Wie in den lyrischen Texten bilden Selbst- und Weltbeobachtung den inhaltlichen Kern der künstlerischen Auseinandersetzung, ebenso stark formal abstrahiert und auf das Wesentliche reduziert. Was dem Dichter das Wort, ist der Malerin die Farbe. Wie die Tinte aus der Schreibfeder, fließt die Farbe aus dem Topf auf die samtig anmutenden Bögen, bildet intensiv leuchtende Flächen und Verläufe, die schließlich die Texte in sich aufnehmen. Dabei wird der Text weit gedehnt. Oftmals finden sich die Verse über das ganze Buch verteilt. Derart aus ihrem metrischen Korsett befreit, beginnen die Wörter in den Weiten der Buchseiten zu atmen. Die Farben bringen die Wörter zum Klingen und lassen deren Echo aus den Tiefen des Farbenmeers im Betrachter nachhallen.

Die kleinformatigen Zeichnungen von Petra Ober entstehen auf immer gleichem Papier, meist in Graphit oder Bleistift ausgeführt. Das charakteristische Format eines annähernden Quadrats entstammt dem bevorzugten Skizzenbuchformat der Künstlerin, die schon früh angefangen hat, sowohl Tagebuch als auch Skizzenbuch zu führen. Aus der Geborgenheit des Skizzenbuchs heraus emanzipierten sich schließlich die Einzelblätter, denen der intime Charakter von Aufzeichnungen erhalten geblieben ist. Das in sich Hineinsehen und Hineinfühlen im kontemplativen Sinn bildet immer wieder aufs Neue den Ausgangspunkt einer jeden Zeichnung, die allmählich aus der Wiederholung einer Geste erwächst. Wie ein Seismograph bringt der Stift die innere Bewegung zur Anschauung, bringt in einem Zustand höchster Konzentration das Innere in Einklang mit dem Äußeren. Die Zeichnungen sind oft seriell angelegt. Minimale Variationen der Strichstärke führen zu unterschiedlichen Grauabstufungen innerhalb der Serien und verleihen ihnen den Charakter visueller Partituren. Ihren Auftakt finden sie im „introspektiven Erleben“ [Eine Wendung, die u.a. die Künstlerin Maria Lassnig für ihre Malerei beanspruchte, in der sie das innere, körperliche Empfinden in Farben und Formen zum Ausdruck zu bringen suchte. Vgl. https://www.sueddeutsche.de/ku... (8.9.2017).]

der Künstlerin und breiten sich, dem inneren Rhythmus folgend, in linearen Zügen über das Papier aus. Dort überlagern, verbinden, verdichten sie sich zu raumgreifenden Strukturen, die in ihren verschiedenen Tonalitäten und Texturen akustische Schwingungen assoziieren lassen. So lässt sich verfolgen, wie – analog zu einem Crescendo in drei Takten – ein hauchzartes Pianissimo sanftmütiger Wellen in ein selbstbewusstes Mezzoforte brausender Wogen ausschlägt. Die zeitliche Dimension dieses Fortgangs wird in den Zeichnungen sichtbar, ja spürbar, und gewinnt durch die Angabe von Entstehungsort, Datum und Zeit in den Titeln noch an Gewicht. In der Betrachtung lässt sich die Bewegung gedanklich zurückverfolgen und potenziell unendlich fortsetzen. Und doch markiert jede Zeichnung einen Augenblick im Kontinuum der Zeit, der jenseits seiner Bedeutung als individuelle Aufzeichnung auf die menschliche Existenz an sich und auf ihre Vergänglichkeit verweist.